Geschichte des Wiener Schützenvereines

Das Schützenwesen entwickelte sich in Wien aus der Bürgermiliz zur Zeit der Gründung der Ostmark und das Schießen mit Pfeil und Bogen, später mit der Armbrust, zählte damals zu den ritterlichen Übungen. Aus der Bürgermiliz, die hauptsächlich dem Schutze der Stadt gegen feindliche Angriffe diente, entstand 1605 die erste "Armbrust-Schützengesellschaft". Die Tapferkeit der Wiener Schützen wurde zur Zeit der 1. Türkenbelagerung 1529 besonders hervorgehoben. Bei der 2. Türkenbelagerung verlor das "Ritterliche-Bürgerliche Scharfschützenkorps" mehr als 1200 Wiener Bürger. Als Dank und Anerkennung für die Tapferkeit machte Kaiser Leopold I. die Grundfläche, wo heute das 1. Wiener Landesgericht steht, dem "Ritterlichen-Bürgerlichen Scharfschützenkorps" zum Geschenk. Die Fahne des Korps wurde später dem Wiener Schützenverein als rechtlichen Nachfolger übergeben.

 

1684 wurde die erste Schießstätte auf dem erworbenen Grund errichtet und 1743 zur Feier der Geburt Josef II. ein Festschießen mit Preisen von 5000 Gulden unter Kaiserin Maria Theresia abgehalten. 1831 musste das Gebäude wegen der Choleraepedemie für Spitalszwecke zur Verfügung gestellt werden und ging damit seiner ursprünglichen Bestimmung verloren. Den Wiener Schützen wurde von der Gemeinde Wien das Versprechen gegeben, zu gegebener Zeit einen Ersatz an einem geeigneten Ort zur Verfügung zu stellen. In der Zwischenzeit konnte ein Provisorium in der Blechturmgasse geschaffen werden. Die Entwicklung der Stadt erforderte es jedoch, dass die Wiener Schützengesellschaft immer wieder wandern musste und in der Folge an mehreren Stellen der Peripherie Provisorien bezogen hat.

 

1868 musste sogar das Dritte Deutsche Bundeschießen im Prater auf einer eigens nur für diese Veranstaltung gebauten Anlage abgehalten werden. Ähnlich wie heute waren die Schützen immer wieder angewiesen, in der Umgebung Wiens, auf dem Lande Schießstätten aufzusuchen. Nach Errichtung der k.k. Militärschießstätte in Kagran konnte die Gemeinde Wien ihr Versprechen einlösen und 1874 dem Wiener Schützenverein eine endgültige Bleibe neben der Militärschießstätte zur Verfügung stellen. Die Wiener Schützen haben auf dem erworbenen Grund eine Schießhalle errichtet, die im Laufe der Zeit mustergültig ausgebaut werden konnte. Es gab Scheibenstände aller Distanzen von 30 bis 400 Schritte, ebenso Tontauben und Pistolenstände. Der gesamten Jägerwelt von Wien standen Jagdscheiben aller Gattungen zur Verfügung und es konnten sich junge Jäger im Schießen ausbilden und üben. Die Schießstände des Vereines standen auch jederzeit den Mannschaften der Polizei, Gendarmarie und Zollwache zur Verfügung, ebenso wie den Büchsenmachern Wiens, die ihre Waffen bei uns eingeschossen haben.

 

Fahne übergeben von Kaiser Franz JosefAls 1898 das Fünfte Bundesschießen abgehalten wurde, baute der Wiener Schützenverein aus eigenen Mitteln eine elektrische Straßenbahnlinie, die den Pendelverkehr zwischen der Reichsbrücke und dem Schießplatz besorgte! Der Wiener Schützenverein hatte im alten Wien einen guten Klang. Alles was Rang und Namen hatte, zeigte Interesse für die Schützen. Die Wiener waren volksverbunden mit unserem Verein und der jeweilige Bürgermeister war unser Protektor. Die prominenten Mitglieder der sogenannten "guten Gesellschaft" waren Vereinsmitglieder und am Schießstand fand sich neben dem bürgerlichen Schützen der Aristokrat, der Offizier und der Geschäftsmann.

Der Verein war ein effektiver "Volksverein" im besten Sinne des Wortes. Der Mitgliederstand betrug in den Jahren 1868 - 1914 500 bis 600 Mitglieder. Nach dem ersten Weltkrieg kamen auch für unseren Verein schwere Krisenjahre. Die Mitgliederzahl sank sprunghaft auf die Hälfte und der Schießsport büßte viel von seiner Bedeutung als "Volkssport" ein. Die totale Vernichtung drohte aber erst nach dem zweiten Weltkrieg, als nach den schweren Bomben- und Besatzungsschäden über Weisung der Alliierten der Verein aufgelöst und der aktive Schießsport verboten wurde. Leider werden die schönen Schießanlagen überflüssigerweise über behördlichen Auftrag abmontiert und anderen Zwecken zugeführt. Erst als mit dem Staatsvertrag der Schießsport in Wien erlaubt wurde, musste mit viel Idealismus und wenig Mitteln der Verein neu aufgebaut werden. Aus der kleinen Schar alter Schützen reaktivierte sich der Wiener Schützenverein.